„Der Mensch bräuchte Schulungen, die ihn zur bestmöglichen Wahrnehmungsfähigkeit, Vorstellungsbildung, Urteilsfähigkeit und schöpferischen Dynamik anregen.“

                                   Heinz Grill

Meditation

Was ist Meditation und wie verstehen wir sie im Ansatz des Neuen Yogawillen?

In der Regel meinen wir mit Meditation eine Verinnerlichung, ein inneres, tieferes Erleben, das entgegen veräußernder oder gar zersplitternder Kräfte mehr ein reineres, gesammeltes oder essentielles Wahrnehmen beschreibt. 

Allgemein können eine sogenannte nichtgegenständliche und eine gegenständliche oder inhaltliche Meditation unterscheiden. Die nichtgegenständliche Meditation wird bspw. in vielen buddhisthischen Ansätzen praktiziert und strebt allgemein mehr eine Bewusstseinsleere und ein Freisein von Gedanken an. Die Bewegungsrichtung können wir charakteristisch als ein Nach-Innen-Gehen bezeichnen oder auch als Versenkung in das eigene Innere. Meist wird dabei angestrebt in einer Art Gelassenheit eine Nichtidentifiaktion mit den vielen aufsteigenden Gedanken und Impulsen zu erreichen, sodass schließlich eine Qualität der Ruhe und Stille erlebt wird und der Übende sich dabei in zunehmenden Harmonie- oder auch Einheitsgefühlen erlebt.

Dem gegenüber steht die gegenständliche oder inhaltliche Meditation. Wie ihr Name schon sagt, zeichnet sich ihr wesentlichstes Merkmal gerade dadurch aus, dass der Übende immer einen konkreten Meditationsinhalt beibehält, den er wie ein Gegenüber in aufmerksamer Betrachtung bewahrt. Diese Beziehung zu einem Gegenüber oder einem Meditationsobjekt wird genau genommen niemals aufgegeben. Der Übende versucht also nicht mit dem Objekt unmittelbar Eins zu werden oder mit diesen zu verschmelzen.  Ein Inhalt kann physisch-sichtbarer Natur oder auch immaterieller Art in Form eines Gedankeninhaltes, bspw. einer inspirativen Textstelle oder auch ein Mantra sein. Entgegen der Bewegungsrichtung der nichtgegenständlichen Meditation nach innen, kehrt sich diese in der gegenständlichen Meditation sozusagen ’nach außen‘ oder in die Richtung des Objektes um.  Mit diesem ’nach-außen-gehen‘ ist hier also gemeint, dass der Übende nun nicht versucht immer weiter in die eigene Innenwelt einzutauchen, er lernt vielmehr, sein Meditationsinhalt in Wachheit und Konzentration so sorgfältig und wach gegenüberzutreten, dass er seine sich sammelnde seelische Aufmerksamkeit in diesen Inhalt ausdauernd platziert und dennoch fortwährend eine eigene beobachtende Position wahrt.

Konzentration als gebündelte und gegliederte Bewusstseinskraft

In der inhaltlichen oder gegenständlichen Meditation lernt der Übende seine Bewusstseinskräfte wie seelische Muskeln differenziert und einsatzkräftig zu gebrauchen. Namentlich ist es das Denken, das Fühlen und der Wille, welche wir als die seelischen Kräfte des Menschen benennen können. In der gezielten und gleichzeitig freilassenden Beziehungsaufnahme zu unserem Meditationsinhalt entwickeln wir eine hohe mentale aber klar geführte Aktivität. Es ist unser Ich, also eine überschauende Instanz in uns, die lernt die Seelenkräfte gezielt und gegliedert zu unserem Meditationsobjekt in Beziehung zu bringen. Diese Instanz die als übergeordnete Kraft unsere Seelenkräfte bewusst führt und lenken lernt ist für das gesamte Übungsgeschehen von entscheidender Bedeutung. Was bedeutet dies konkret?

Gewöhnlich haften unsere Bewusstseinskräfte mehr durcheinandergewirbelt eng am Leib. In der inhaltlichen Meditation schult sich der Meditierende in einem zentralen Punkt: In der gezielten Konzentrationsentwicklung. Konzentration ist gebündelte und gesteigerte Aufmerksamkeit auf einen Fokus. Diese ist immer Ausdruck einer zielgerichteten Eigenaktivität. Wir lernen also unsere Bewusstseinskräfte aktiv zu unserem Gegenüber in Beziehung zu bringen. Konzentration als Rohstoff und sozusagen Antrieb für die intensivierte Beziehungsaufnahme, die aus unserem Ich geführt wird, bringt eine außerordentliche Dynamik in die Übung. Ganzheitlich können wir von Lichtätherkräften sprechen, die durch diese klare Aufmerksamkeitsbündelung erfolgt. Wir lernen unser Bewusstsein aktiv hin zu unserem Objekt auszudehnen, wir platzieren sozusagen unsere Bewusseinskraft in den gewählten Inhalt und bleiben dennoch in einer ruhigen und beobachtenden Position. Diese Haltung wird im Yoga auch als saksi, als Zeugenhaltung benannt.

 Konzentration als lichtdynamisierender Prozess

Gleich wie Lichtstrahlen durch die Lupe gebündelt und fokussiert und in ihrer Wirkung intensiviert werden, so platzieren wir unsere Aufmerksamkeitskraft anhaltend in unser Objekt. Nochmals sei betont, dass diese Tätigkeit eine außerordentlich aktive Bewusstseinsdynamik beschreibt. So wie wir, wenn wir bestimmte Körperübungen machen unsere physischen Muskeln stärken, so stärken wir durch anhaltende Konzentration unsere seelische Kraft der wachen, gegenwärtigen Wahrnehmung in Ausdauer zum gewählten Inhalt, den wir in seiner eigenen Wesenhaftigkeit zunehmend erleben lernen wollen.

Besondere Schulung erfordert es dabei unsere tätigen Bewusstseinskräfte des Denkens, Fühlens und Wollens regelrecht zu entwirren und auf geordnete Weise zu unserem Meditationsobjekt in Beziehung zu bringen. Was ist damit gemeint?

Die Kunst der Meditation besteht darin einen wertvollen Inhalt in die betrachtende Anschauung, in die Konzentration zu heben und diesen gleichzeitig freizulassen.

Wir haben also einen Inhalt, bspw. einen sog. inspirativen Gedanken wie: ‚Im Urbeginne war das Wort‘. Die ist unser Meditationsinhalt, ein tiefgründiger Gedanke, den wir mit dem Intellekt oder den Emotionen in seiner tieferen Bedeutung nicht ausreichend erfassen können. In der gegenständlichen Meditation lernen wir, so eigentümlich das klingt, zunächst diesen Gedanken zu denken. Dafür müssen wir diesen in die anschauende Vorstellung führen lernen, ihn sich bspw. in Textform wie ein Bild vor das innere Auge rücken. Dies ist das Denken. Es ist genauer gesagt ein Betrachten eines bewusst gebildeten Vorstellungsinhaltes. Dieses bildhafte Denken eines konkreten Inhaltes ist erstmal gar nicht leicht. Wer hiermit bereits Erfahrung hat  kennt die Schwierigkeiten, dass man beispielsweise sehr leicht abschweift. Wie schnell geht es, dass man den Fokus verliert und sogleich in ganz andere Zusammenhänge abgleitet. Oder wird erleben die Schwierigkeit gerade darin, dass wir das Vorstellungsbild nicht in Ruhe lassen können. Vielleicht ertappen wir uns dabei, dass wir ständig daran uminterpretieren, sofort alle möglichen Analogien über den Intellekt hinzufügen oder eben wie ‚die Nuß‘ über unseren zugreifenden Intellekt versuchen zu knacken. Das Abschweifen oder willentliche Zugreifen sind sehr charakteristisch für die Schwierigkeiten der Meditationspraxis.

Wir merken also, es ist wirklich eine ordentliche Anforderung einen Meditationsinhalt klar, wach und frei in der betrachtenden Anschauung halten zu lernen. Deshalb macht man so eine gegenständliche oder inhaltliche Meditation meist vom Gemüte erstmal auch nicht gern, weil es wirklich eine ordentliche Arbeit ist. Gerade aber diese  seelische Muskeltätigkeit einen Inhalt über eine bestimmte Zeit in der wachen Betrachtung zu halten, ist eine hervorragende und umfassend stärkende Übung für unsere Individualität. Genau, es ist nämlich unser Ich was sich stärkt, wenn wir uns in dieser geführten und gebildeten Denktätigkeit bewegen.

Langsam können sich erste, zarte Empfindungen einstellen. Diese aber, und dies kann bei wiederholter Praxis deutlich bemerkt werden, kommen nun nicht aus dem Körper, sondern sie einspringen tatsächlich aus dem zu betrachtenden Objekt. Sie kommen einem also regelrecht von außen entgegen. Emotionen schießen mehr als gebundene Gefühle über dem Körper ein, wirkliche Empfindungen aber sind die Folge einer tieferen seelischen Beziehungsaufnahme und kommen einem regelrecht leibfrei oder eben von außen entgegen. Auch dies ist sehr bedeutend, weil, so möchte ich sagen wir heute in einer sehr empfindungsarmen Kultur leben. Zwar haben wir unendlich viele Reize und Emotionen, diese aber sind der Seele des Menschen eigentlich fremd und in der Summe schwächen und erschöpfen sie den Menschen. Wirkliche Empfindungen hingegen wirken regelrecht heilsam, ordnend und verbindend. Sowohl auf uns selbst und eben auch ganz besonders auf freudige Weise ausstrahlend auf die Mitmenschen.

Wahre seelische Empfindungen wirken verbindend und sind Ausdruck einer tieferen und aktiven Wahrnehmung und Beziehungsaufnahme.

Schließlich haben wir als Drittes noch die mächtige Kraft des Willens innerhalb der Übung. Wir können sie als Motor beschreiben, der die Ausdauer innerhalb der Übung zur Verfügung stellt. Der Wille schenkt bildhaft gesprochen eine Art haltende Umkreiskraft, ohne – und das ist von größter Bedeutung – in den Denkprozess selbst einzugreifen. Er muss regelrecht und fortwährend aus dem Vorstellungsprozess zurückgehalten werden, das Objekt nicht willentlich zu ergreifen, sondern es frei im Raume betrachtend zu lassen.  

Darin besteht tatsächlich, so eigenartig dies auch klingen mag, die wichtigste Willensübung, den Willen so gebrauchen zu lernen, dass er die Spannkraft für die Übung schenkt aber ihn fortwährend in seinem gewohnten Zugriff hinein in das Denken zurückzuhalten.

Dies ist sicherlich die anspruchsvollste Aufgabe und erst langsam und durch viel Übung lernt man den Gedanken in seinem eigenen Lichte frei betrachtend im Raume zu bewahren. Konzentration ist also die notwendige Opferleistung, oder, edler ausgedrückt, die ausdauernde und gegliederte Beziehungsaufnahme hin zu unserem Inhalt und gleichzeitig lernen wir diesen freizulassen. Je stärker und wiederholt die Grundlage durch konzentrierte Hinwendung erfolgt, bildet sich langsam dasjenige heraus, was wir als Meditation bezeichnen können.

So können wir an dieser Stelle festhalten, dass die gegenständliche oder inhaltliche Meditation eine außerordentliche und hervorragende Schulung unserer seelischen Kräfte darstellt. Ja, es ist Arbeit aber wer hier nicht gleich die Flinte ins Korn wirft erfährt bald eine deutliche Stärkung und ein Wachsen seiner sogenannten Selbstkraft. 

Diese getätigte Konzentration ist ein rein seelischer Prozess mit wie erwähnt hervorragend, ja umfassend heilsamen Auswirkungen für den übenden Menschen. Aber was ist denn nun mit unserem Meditationsobjekt, welche Bedeutung hat dieser? Dient er nur als Übungsgerät zur Schulung unserer seelischen Kräfte? Tatsächlich berühren wir, wenn wir bspw. einen Meditationsinhalt wählen, der eine tiefe Wahrheit enthält, wie oben kurz erwähnt eine Evangelienstelle oder ein Mantra oder einen wertvollen Gedanken eines tief denkenden Menschen, den sogenannten geistigen Teil der Übung.
Warum?

So wie wir in der aktiven Kontrationsschulung sehr stark wie erwähnt sogenannte Lichtkräfte zum aktivieren, so beschreibt Heinz Grill, dass gerade wenn ein guter und wahrer Inhalt zum Meditationsinhalt gewählt wird und wir auch aufrichtig an einer tieferen Erkenntnis zu diesem Inhalt interessiert sind, sogenannte innerste Wärme- oder auch Feuerkräfte belebt werden. Diese Wärmekräfte oder geisteswissenschaftlich gesagt dieser Feueräther ist nun keineswegs als physische Wärme zu verstehen. Vielmehr kennzeichnet sich gerade dasjenige was wir als eine geistige Substanz beschreiben können durch diese immanente und feinste Wärmequalität. Diese Wärme wirkt aber wie Heinz Grill es beschreibt und in der Meditationspraxis auch erlebbar sein kann, dass diese auf feinste Weise im Menschen ordnend, verinnerlichend, zentrierend und gestaltend wirkt. Die innere Wahrheit des Gedankens oder auch die in allen Dingen innewohnende geistige Daseinsdimension spricht sozusagen zu unserem eigenen Wesenskern, der selber Geist ist.

Was wir als Übende in der Übung leisten können ist also eine gesteigerte, aktive und doch freilassende Beziehungsaufnahme zu unserem gewählten Inhalt. Was aber ist dann Meditation?   

Meditation ist in diesem Sinne verstanden mehr das sich Aussprechen des Inhaltes in seinem ureigenen Wesen oder Selbstausdruck. Das Objekt beginnt immer stärker auf uns zurückzustrahlen.

Neue, lebendige Eindrücke und Empfindungen durchfluten unser weiterhin in Wachheit gehaltenes Seelenleben. Meditation können wir also niemals willentlich erreichen, sie ist vielmehr eine Art Antwort oder ein Empfangen, das dem sich Hinwendenden eröffnet. Dieser Vorgang kann bis hin zu einer freien und tatsächlich objektiven Erkenntnissicht gesteigert erlebt werden. Dieser gesamte Vorgang ist dann keineswegs mehr leibgebunden, sondern die geordneten und geführten Bewusstseinskräfte bewegen sich frei im Raume und zum Objekt hin. Licht und feine innere Wärme kennzeichen dieses erhebende Erleben.

Abschließend soll noch gesagt werden, dass gerade der besondere Wert der gegenständlichen Meditation darin gesehen werden kann, dass durch dieses hochaktive und differenzierte Tätigsein unserer Seelen- und Bewusstseinskräfte oder eben durch dieses lebendige Denken, ein tatsächlich erschaffender, großartig erbauender und anhebender Prozess geschieht, der niemals nur auf uns beschränkt bleibt, sondern ebenso reinigend, ordnend, verbindend und anhebend auf unsere gesamte Umgebung und zudem auch befreiend auf unser Meditationsobjekt wirkt, wenn dieses bspw. ein Phänomen der Welt ist, dass wir nun aber in einem tieferen seelisch-geistigen Zusammenhang erforschen lernen. Mit diesem, und da ist das Wort sehr treffend gewählt schöpferischen Aktivsein wirken wir sinngebend und erbauend in die Welt.

Meditation in diesem Sinne übersteigt also allen kleinlichen Nutzwert eines für sich schönen Gefühles und wird zur schöpferischen Beziehungsaufnahme und Gabe für unsere gesamte Mitwelt.